Vermutlich sollte man die aktuelle sportliche Lage nicht als ersten Maßstab nehmen. Denn ginge es danach, hätte RWE am Dienstag um 20:15 Uhr in der Megakrise gesteckt. Eine Stunde später hatte das Team von Coach Jan Siewert die Partie gegen Düsseldorf II gedreht und vieles sah schon etwas anders aus.
Natürlich sind sie trotzdem mit der ersten Phase der Saison nicht zufrieden, das hat Michael Welling in seinem Vorwort der RWE-Vereinszeitschrift zur Partie gegen die Fortuna klar zum Ausdruck gebracht. Können sie auch nicht, denn vier Niederlagen nach neun Spielen können nicht der Anspruch von RWE sein. Auf der Suche nach Gründen für den erneut schleppenden Start suchen einige den Grund bei Trainer-Novize Siewert, einige beim Sportlichen Leiter Andreas Winkler. Michael Welling wird das Duo aber in Ruhe weiterarbeiten lassen. Vermutlich richtig so, denn wenn jemand eine Idee hat, soll und kann er die nicht nach ein paar stürmischen Wochen über Bord werfen. So schnell kann in der Regel kein Konzept in Gänze scheitern.
Aber! RWE ist eben ein etwas anderer Verein, vor allem für Viertligaverhältnisse. Noch, denn jetzt kommen wir zum Problem. Nach der überlebten Insolvenz hatten die Fans jede Menge Geduld mit RWE. Seit dem Regionalliga-Aufstieg scheint der Klub - trotz der stetig wachsenden finanziellen Möglichkeiten - im Viertligabetrieb zu verharren - ohne Aussicht auf Besserung. Platz 8, 4, 9 und 5 in den Folgejahren - zu wenig. Und der Grund ist nicht nur bei der unsäglichen Aufstiegsregel zu suchen.
Denn bisher haben es die Essener nicht geschafft, eine Mannschaft zusammenzustellen, die dem Druck in Essen standhält und die es schafft, das Publikum wieder zu begeistern. Und auch das Argument, Viktoria Köln oder andere Vereine hätten wesentlich mehr Budget, zieht nicht mehr. RWE ist mittlerweile ein Kaliber in Liga vier, doch der Motor stottert weiter. In fast jeder Saison seit dem Aufstieg war zur Halbzeit klar, für ganz oben wird es wieder nicht reichen. Zwar hat der Verein das Ziel Aufstieg nie konkret ausgegeben, aber trotzdem weiß jeder, RWE muss bald wieder zurück in den Profifußball. Doch die Zeit ist derzeit nicht der Freund der Essener. Denn ein Trend ist unverkennbar.
Die Geduld vieler Fans scheint aufgebraucht. Natürlich kommen für Regionalliga-Verhältnisse immer noch sehr viele Zuschauer, aber für RWE-Verhältnisse nicht. Knapp 5500 Zuschauer am zehnten Spieltag gegen Düsseldorf II sollten ein erstes Alarmzeichen sein, bei knapp 4500 verkauften Dauerkarten gab es nur noch 1000 zahlende Zuschauer am Spieltag. Und die lassen ihrem Unmut über den durchwachsenen Auftakt nicht mal mehr freien Lauf, niemand tobt am Zaun, vieles wurde zuletzt schweigend, fast resignierend hingenommen. Dazu das Problem mit den Ultras, die sich aufgelöst haben. RWE droht auch ein Stimmungsproblem, wenn sich keine Gruppe findet, die voran schreitet und den Leitwolf gib, denn das Prinzip, alle sind nun etwas mehr gefordert, wird nicht klappen. Vor allem auswärts nicht, wo RWE zuletzt stimmungstechnisch gegen die Reserve des 1. FC Köln im Hintertreffen war.
Die Basis ist in Essen vorhanden, finanziell hat der Verein keine Probleme, der Etat kann sogar stetig nach oben geschraubt werden. Daher muss nun die Abteilung Sport nachziehen. Jan Siewert und Andreas Winkler müssen in Kürze mit der Mannschaft abliefern. Denn der Trend muss gebrochen werden, schließlich haben tobende Fans noch Emotionen, sind mit dem Herzen dabei. Wenn immer mehr Fans resignieren, sich abwenden, dann kommen schwere Zeiten auf den Klub von der Hafenstraße zu, der sich so sehr über seine Anhängerschaft definiert...